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Navid Kermani ist ein Mensch der hinschaut, hinhört, zuhört, der seine Umgebung und sein Gegenüber mit ebenso untrüglichem wie empathischem Blick für das Besondere, für den einzelnen Menschen wahrnimmt, in dessen Erlebnis oder Schicksal sich die großen Fragen unserer Zeit widerspiegeln. Er ordnet ein, bewertet und stellt Ereignisse in Beziehung zu ihrem regionalen und historischen Kontext. Damit werden seine Ostafrika-Reportagen über das Genre hinaus zu einem Stück zeitgenössischer Geschichtsschreibung.

Eines aber kann Kermini nicht: Langweilen. Das Erhellende an seinen Reportagen ist der Perspektivwechsel, mit dem er uns die gegenwärtigen Krisen aus Sicht der Menschen zugänglich macht, bei denen die Auswirkungen in Gestalt von Kriegen, Hungersnöten und Katastrophen am größten sind. Dabei spart er auch das immer noch nachwirkende koloniale Erbe Deutschlands und Europas nicht aus.

Angesichts der schönen Natur, die er auf seinen Reisen auch gesehen hat, schreibt Kermani: „Aber es war nicht meine Aufgabe, die Schönheit zu beschreiben oder auch nur die Normalität, sage ich: Der ganze Anlaß der Reise war schließlich, daß in Madagaskar Hunger herrschte, und bei uns bekam es kaum jemand mit.“ Ein Buch für alle, die nicht wegsehen wollen.